«Spaziergang mit Farbe auf Leinwand» (Evolution)

Gedanken zur malerischen Serie.

Ein wichtiges Thema meiner künstlerischen Spaziergangsforschung sind die Modelle, welche ich in meinem Kopf bezüglich mir und dem, was sich ausserhalb von mir befindet, zu überprüfen und abzugleichen. Der Begriff «Modell» ist mir wichtig. Meiner Beobachtung nach handelt es sich bei meiner Vorstellung der Welt, anderen Menschen, von mir selbst usw. um ein abstraktes und lückenhaftes Abbild, welches nicht mit der Realität verwechselt werden sollte. Es gründet sich im besten Fall auf Informationen, die ich der Realität entnommen habe. Die Qualität und die Quantität dieser Informationen ist bei ehrlicher Betrachtung sehr unterschiedlich. Es gibt Ereignisse, über die ich viel weiss. Es gibt aber auch ganz vieles, worüber ich kaum etwas oder gar nichts weiss. Mir scheint es, dass es sich oft sogar umgekehrt verhält: das Modell existiert bereits und es wird versucht, die Realität daran anzupassen. Vieles, was beispielsweise mit Religion zusammenhängt, verhält sich meiner Meinung nach auf diese Weise. Mich interessiert es, möglichst viele Informationen zu sammeln und meine Modelle damit zu speisen. Je besser die Qualität der Daten ist, desto interessanter das Modell. Und schliesslich ist meine Vorstellung von allem, was um mich und mit mir passiert, alles was ich habe. Es ist der Raum, in dem mein Leben stattfindet.

Ich beziehe mich in meinen Überlegungen zu diesen Modellen übrigens explizit auf die Geschichte der Physik und einzelne ihrer Exponenten, mit denen ich mich gerne auseinandersetze. Vereinfacht gesagt hat die Physik Vorhersagen lange aufgrund der newtonschen, klassischen Mechanik gemacht. Bis immer offensichtlicher wurde, dass es in gewissen Bereichen kleinere und grössere Abweichungen zur Realität gab. Es war innerhalb dieser Disziplin ein schmerzhafter und konfliktreicher Prozess zu erkennen, dass die bisherigen Erklärungen nur in ganz bestimmten Grenzen gelten. Es entstand nach und nach die Quantenmechanik. Heute ist jedem Physiker klar, dass es sich dabei jeweils um Modelle handelt. Es gilt zu wissen, wann welches Modell korrekte Vorhersagen über die Realität erlaubt und wann nicht. Und, ganz wichtig, es handelt sich dabei nicht um die Realität an sich, sondern eben um ein Modell. Bei meiner Vorstellung der Welt ist das sehr ähnlich und ich versuche, das immer im Bewusstsein zu halten.

Ein Spaziergang, sei es auf zwei Beinen oder im übertragenen Sinn, ist für mich eine Methode, meine Modelle im Kopf mit der Realität abzugleichen. Es fängt mit dem Versuch an, bewusst wahrzunehmen und zu entdecken. Da es eine Auseinandersetzung mit mir selbst ist, kann ich irgendwo damit beginnen.

In meiner künstlerischen Arbeit habe ich mich lange mit Darwin auseinandergesetzt. Gerade im Rahmen dieser Überlegungen ist diese historische Figur und ihre Entdeckungen höchst interessant. Auf seiner Reise auf der Beagle hat er beobachtet, Informationen gesammelt, festgehalten und Experimente durchgeführt. Seine grosse Stärke war es, dass er den Beobachtungen in der Realität eine grössere Beachtung geschenkt hat, als den Modellen in seinem Kopf. Natürlich waren seine Vorstellungen und die seiner Zeitgenossen unter anderem sehr religiös geprägt. Eins ums andere Mal musste er feststellen, was er beobachtete, wich von dem ab, was man sich zu seiner Zeit und in seinem Kulturkreis an Erklärungen über die Welt erzählte. Dazu muss man sagen, dass diese Erkenntnis, zumindest theoretisch, für jeden anderen ebenfalls verfügbar war. Es spielte sich buchstäblich vor jedermanns Augen ab. Darwin sammelte Informationen, Indizien und Beweise und versuchte so ein Bild zu zeichnen, welches sich aus der Realität, aus den Beobachtungen, speiste. Er versuchte nicht, der Realität eine Geschichte über die Welt zu überstülpen. Seine Erklärung musste belegbar sein.

Und so trägt diese Serie von Malereien den Titel «Evolution». Zum einen, weil sich meine Malerei entwickelt und gerade diese Serie für mich selber einen bedeutenden Entwicklungsschritt bedeutet. Nach einem länger andauernden Gefühl des Nicht Weiterkommens, war es erstmals wieder ein Finden von etwas, wonach ich strebe. Zum Anderen ist es ein Hinweis auf meine Beschäftigung mit der Figur Darwin und seiner weltbewegenden Entdeckung. Ich halte seine Vorgehensweise für elementar in der Auseinandersetzung mit uns selbst und mit dem, was uns umgibt. Ich strebe diese Vorgehensweise für meine künstlerische Arbeit, aber auch für mein Leben an.

Im Übrigen gibt es darüber hinaus einiges, was mich bei Darwin interessiert und was ich für eine «spazierenden» Arbeitsweise für wichtig halte. So ist er durch einen grossen Zufall auf diesem Schiff, der Beagle, gelandet. Er war neugierig und hat sich ernsthaft mit dem auseinandergesetzt, was ihn interessiert hat und was seine Aufmerksamkeit geweckt hat. Dies geschah alles andere als systematisch und ohne Ziel, geschweige denn war absehbar, was daraus einmal werden könnte. Er hat einfach gesammelt. Vielleicht könnte man sogar von einem spielerischen, entdeckenden Umgang sprechen. Ganz sicher hat er sich einfach mit dem auseinandergesetzt, was ihm auf dieser Reise begegnet ist. Und er hat seine Arbeit konsequent weitergeführt und immer weiter geforscht. Erst viele Jahre später, ist auf der Grundlage dieses Materials, seine Evolutionstheorie entstanden.

Zu den Arbeiten mit Detailaufnahmen

«Spaziergang mit Farbe auf Leinwand» (Evolution), Silas Kreienbühl, Malerei, 2023

«Spaziergang mit Farbe auf Leinwand» (Evolution), Silas Kreienbühl, Malerei, 2023

«Spaziergang mit Farbe auf Leinwand» (Evolution), Silas Kreienbühl, Malerei, 2023

«Spaziergang mit Farbe auf Leinwand» (Evolution), Silas Kreienbühl, Malerei, 2023

«Spaziergang mit Farbe auf Leinwand» (Evolution), Silas Kreienbühl, Malerei, 2023

«Spaziergang mit Farbe auf Leinwand» (Evolution), Silas Kreienbühl, Malerei, 2023