Am ehrlichen Ort
Im Gespräch mit dem Kulturjournalisten Pirmin Bossart über «Das Museum der Zukunft/KKLB Berlin» im Grossstadtraum von Berlin. Ab Januar 2017 kann dieses Projekt in der deutschen Landeshauptstadt in Form von Führungen von maximal 12 Personen pro Gruppe besucht werden. Beschrieben wird das Projekt hier: Projekt KKLB Berlin. Alle Infos zum Reservieren und Besuchen: www.kklb-berlin.de
Als Direktor des KKLB hat Silas Kreienbühl am historischen Ort des ehemaligen Landessenders Beromünster einen lebendigen Kunstort mitgestaltet, aber auch eigene künstlerische Arbeiten realisiert. Sein Projekt «Das Museum der Zukunft/KKLB Berlin» wird ihn 2017 für ein Jahr nach Berlin führen. Ein Gespräch über die Möglichkeit, sich von unmöglichen Orten inspirieren zu lassen.
Pirmin Bossart: Deine Kunst scheint sehr direkt und mitten aus dem Leben gegriffen. Woher kommt das?
Silas Kreienbühl: Je länger ich mich mit Kunst auseinandersetze, desto mehr wird mir klar, dass sie etwas über das Leben erzählen muss. Dann vermag sie mich zu packen. Kunst weckt mein Interesse, wenn ich sie als eine Analogie lesen kann und sie mir hilft, mich mit etwas zu beschäftigen, was ich noch nicht kenne. Sie kann Wege eröffnen und mir einen Umgang mit dem noch Unbekannten oder Ungewohnten zeigen. So setzt die Kunst Reflexion in Bewegung.
Pirmin Bossart: Du hast im KKLB das Projekt «Museum der Zukunft/KKLB Berlin» lanciert. Was ermöglicht dieses Museum, was ein herkömmliches nicht leistet?
Silas Kreienbühl: Manchmal frage ich mich: Hat die x-tausendste Picasso-Ausstellung eine Relevanz in der heutigen Zeit? Hat ein Künstler aus dem vorletzten Jahrhundert etwas zu den Themen zu sagen, die uns heute beschäftigen? Vielleicht hat er das. Gleichzeitig gibt es gute zeitgenössische Künstler, die mit Sicherheit noch viel mehr zu sagen hätten. So oder anders: Auch dies nützt nichts, wenn die Auseinandersetzung mit dem Publikum nicht angemessen stattfindet. Von daher scheinen sich die klassischen Museen zu erübrigen. Vor allem findet in diesem althergebrachten Kontext keine wirkliche Auseinandersetzung beim Betrachter statt.
Pirmin Bossart: Wie kommst du darauf?
Silas Kreienbühl: Es ist in diesem institutionellen und hundertfach vorgekauten Rahmen oft schon alles vorgegeben: Bilder von Picasso sind toll, er ist ein Star, alles klar. Natürlich ist Picasso ein hervorragender Künstler. Mit seinem herausragenden Werk hat über die Jahrzehnte eine eingehende Beschäftigung stattgefunden. Mittlerweilen rücken – auch bei anderen bekannten Künstlern – nur noch die Verkaufsrekorde ins Blickfeld. Und darauf scheint sich manchmal auch die öffentliche Debatte im Wesentlichen zu beschränken. Ich vermisse eine Reibung an Themen, die uns als Menschen und Gesellschaft weiter bringen.
Pirmin Bossart: Können die heutigen Museen diese Arbeit nicht leisten? Oder fehlt ihnen das Publikum?
Silas Kreienbühl: Natürlich haben klassische Häuser ein gewisses Publikum. Aber in der Regel sind jene, die sich mit den Kunstwerken auseinandersetzen, kein repräsentativer Teil der Gesellschaft. Wenn Kunst in der heutigen Zeit eine Relevanz haben soll, müssten die Debatten darüber viel stärker in der Breite stattfinden. Leider sind wir Kunst- und Kulturschaffende schlecht darauf vorbereitet. Wir bewegen uns oft meilenweit von den Fragen entfernt, die auftauchen, wenn man Kunst mit einem breiten Publikum konfrontiert. Das ergibt nur eine Pseudodebatte. Und deshalb, denke ich mir, dass man ebenso sehr einen Schritt weitergehen und das Kunstwerk ganz weglassen könnte.
Pirmin Bossart: Wie sieht denn dein Museum der Zukunft aus?
Silas Kreienbühl: Das Museum der Zukunft braucht keine Gebäude und keinen bestimmten Ort, keine Sammlung und kein Ausstellungsprogramm. Das Museum der Zukunft ist auf die Wahrnehmung fokussiert. Alles hängt von der Aufmerksamkeit und der Bedeutung ab, die man ihm gibt. Ein Museum der Zukunft entsteht, sobald es durch irgendjemanden definiert wird. Und es existiert so lange, wie es jemand durch seine Wahrnehmung aufrechterhält.
Pirmin Bossart: Trotzdem ist dein Museum der Zukunft ja auch sehr konkret, wenn man deine Fotografien betrachtet, mit denen du auf das Museum der Zukunft verweist. Es beinhaltet Räume und Situationen, wie sie der blanke Alltag schreibt: Dazu gehört zum Beispiel eine Art Schrottplatz in Berlin, wo es wild wuchert und Abfall herumliegt. Wo liegt hier die Kunst begraben?
Silas Kreienbühl: Genau das ist ein Ort, an dem wirkliche Auseinandersetzungen und Reibungen stattfinden können. Wo ist Kunst, wenn nicht dort? Es ist ein sehr ehrlicher und deshalb ein besonders spannender Ort. Er ist einfach so aus dem Alltag heraus entstanden, er wurde nicht gestaltet. Niemand hat sich ausgedacht, wie dieser Ort sein müsste. Er ist sozusagen ein Symptom des Lebens in Berlin.
Pirmin Bossart: Leben ist nicht nur geordnet und auf Funktionalität getrimmt. Ist es die Unmittelbarkeit, die hier als Kunstwerk wirkt und dich anspricht, oder eine besondere Ästhetik?
Silas Kreienbühl: Warum soll nur das als schön empfunden werden, was gestaltet, konstruiert, künstlich ist? Die Schönheit muss auch im Echten, im wirklich Vorhandenen gesehen werden können. Nur so kommen wir weiter, ob in der Kunst, persönlich oder in der Gesellschaft. Einen Ort auf sich wirken zu lassen, der ohne Konzept einfach so geworden ist, wie er ist, schärft nicht nur die Wahrnehmung. Was er auslöst, ist am Ende viel interessanter als die genormte Übereinkunft dessen, was alle sowieso als schön empfinden.
Pirmin Bossart: Kunst soll Wirklichkeit berühren: Diese Wahrnehmung müsste doch auch unser sonstiges Verhalten im Alltag beeinflussen.
Silas Kreienbühl: Das wird sie auch. Nur das schön zu finden, was mit grossem Aufwand so gemacht wurde, dass es schön erscheint, empfinde ich als Einschränkung. Dann verhalten wir uns auch im Leben so. Wir finden jemanden gut, den alle gut finden. Wir mögen, was alle mögen. Es ginge doch vielmehr darum, selber Dinge zu entdecken, selber Erfahrungen zu machen, aufgrund unserer eigenen Wertvorstellungen selber zu entscheiden. Allein sich die Frage zu stellen, was sich an meiner Wahrnehmung verändern müsste, damit mir dieser Ort spannend erscheint, ist schon ein Riesenschritt. Da tut sich – auf ganz vielen Ebenen – eine ganz neue Welt auf.
Pirmin Bossart: Was also geschieht, wenn ich mit dem Kunstort Schrottplatz konfrontiert werde?
Silas Kreienbühl: An einem solchen Ort bin ich urteilsmässig nicht schon festgespurt. Vorformuliert ist höchstens, ihn kategorisch auszublenden, angeekelt zu sein oder ihn einfach als «Müll» abzutun. Die Herausforderung ist, sich möglichst neutral zu nähern und sich selber ein Bild zu machen. Der Ort wirft einem auf sich selber zurück. Vielleicht lässt sich sogar Schönheit entdecken. Dann wären nicht Vorurteile oder fixe Ideen im Spiel, sondern schlicht die eigene Erfahrung. Am Ende etwas ganz anderes vorzufinden, als man erwartet hat: Wenn das keine gute Lektion für das Leben ist….
Pirmin Bossart: Mindestens so wichtig in deiner künstlerischen Arbeit wie eine Fotografie oder eine Installation ist für dich die Vermittlung. Du machst nicht nur, sondern denkst auch intensiv darüber nach, was ein Publikum damit anfangen könnte. Wie führst du die Interessierten ins Museum der Zukunft?
Silas Kreienbühl: Ich benutze die Fotografie als Medium der Abstraktion. Ich gebe dem Betrachter eine Perspektive vor: Das gestaltete Bild soll den Zugang erleichtern und ein Herantasten ermöglichen. Bei einer Museumsbesichtigung diskutieren wir zunächst mal über die Fotografien und was sie in uns auslösen. Erst dann besuchen wir den realen Ort.
Pirmin Bossart: Warum schiebst du die Fotografie dazwischen?
Silas Kreienbühl: Die fotografische Arbeit ist ein Weg, um mir selber darüber klar zu werden, was ich mache. Ich erlebe jenen Prozess der Wahrnehmung, wie ihn dann auch das Publikum machen kann. Fragen tauchen auf, Reaktionen werden wach. Die Veränderung und das Vergängliche sind allgegenwertig.
Pirmin Bossart: Auf das konkrete Projekt gemünzt, liesse sich auch sagen, dass die Wechselwirkung zwischen Abbild und Bild, Vorstellung und Realität, wieder eine eigene Spannung und Auseinandersetzung erzeugt.
Silas Kreienbühl: Unbedingt. Eventuell ist der Ort gar nicht mehr so vorhanden, wie er abgebildet wurde. Vielleicht ist das Wetter ganz anders als auf dem Bild. Es gibt nichts, woran man sich wirklich festhalten kann. Endlichkeit und Veränderung rücken in den Mittelpunkt. Das sind gleichzeitig Themen, die naturgemäss einen klassischen Museumsbetrieb besonders herausfordern. Es ist auch möglich, dass ich auf dem Weg zum realen Ort beginne, andere Orte auf dieselbe Art und Weise zu betrachten und zu hinterfragen. Es geht immer wieder von neuem um etwas, was wir noch nicht kennen – im Leben genauso wie in der Kunst.
Fotografische Arbeit «Das Museum der Zukunft»
Zur Website des Projekts «KKLB Berlin» geht es hier: www.kklb-berlin.de