Digitalisierung und die Zukunft der Kunst
Oder: Die 70/30-These
Kunst ist ein wunderbares Spielfeld der persönlichen Entwicklung. Sie ermöglicht Erkenntnis und kann Erfahrungen, Sichtweisen und Weisheiten transportieren. Ich habe es selber erfahren und an mir und mit anderen erforscht. Im Kern dreht sich meine künstlerische Arbeit deshalb immer um den Versuch, die Wahrnehmung zu schärfen und das Bewusstsein zu steigern. Ich bin nämlich davon überzeugt, die Qualität mit der sich das Individuum mit sich und seiner Umwelt auseinandersetzt, ist entscheidend für den Zustand unseres Zusammenlebens und für die Entwicklung der Menschheit und unseres Universums als Ganzes.
Deshalb interessiert mich nicht nur meine eigene künstlerische Arbeit, sondern der «Zustand der Kunst» im Allgemeinen und ihr Verhältnis zur oder ihr Platz in der Gesellschaft. Ich glaube meine Interessen im Bezug auf meine eigene künstlerische Arbeit überschneiden sich mit den Interessen der Kunst als Ganzes. Oder anders gesagt: Erfährt die Kunst als Ganzes eine Aufwertung und eine qualitativ höhere Relevanz in der Gesellschaft, so erfährt dies auch meinen eigene künstlerische Arbeit – und umgekehrt.
Bekannterweise ist es so, dass sehr wenig Menschen wirklich mit Kunst in Berührung kommen und positive oder gar transformatorische Erfahrungen machen, wie ich sie oben beschrieben habe. Dieser Umstand ist ebenfalls einer der Antriebe meiner künstlerischen Auseinandersetzung.
Klassisch wird vieles, worüber ich mir Gedanken mache und was ich hier schildere, als Kunstvermittlung bezeichnet und somit vom schöpferischen Prozess der Kunst an sich separiert. Ich bin überzeugt davon, dass sich diese Grenze immer mehr auflöst. Die Unterscheidung wie sie heute gepflegt wird ist oft auch willkürlich und der Kunst nicht dienlich. Die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der Kunst zu ihrem Publikum ist etwas Essentielles und Grundlegendes. Es ist sogar einer der wichtigen Aspekte einer künstlerischen Arbeit. Mit den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen ist der Druck sehr gross, hier massiv aktiver zu werden, als es bis anhin der Fall war. Ich beziehe mich hierbei darauf, wie Kunst zunehmend eine wirkliche Relevanz in unserer Gesellschaft zu verlieren droht. Hinzu kommt eine zunehmende Tendenz zu Transparenz und ein Anspruch der Öffentlichkeit zur Rechtfertigung von Ausgaben, die in ihrem Namen getätigt werden. Weiter und sehr wichtig: die zunehmende Digitalisierung und einer Verlagerung der Aufmerksamkeit des Publikums hin zu persönlichen Bildschirmen und On-Demand-Inhalten.
All dies wirft natürlich die Frage nach der zukünftigen Rolle von Museen, Ausstellungshäusern und Galerien auf. Und auch inwiefern sie als Zwischenstück zwischen Künstler und Publikum überhaupt noch gefragt sind. Ich fasse meine Überlegungen und künstlerischen Arbeiten zu diesem Thema gerne unter den Begriff «Das Museum der Zukunft». In der Auseinandersetzung der letzten Jahre, welche in Form von diversen konzeptuellen Arbeiten, viel Recherche und Gesprächen und vor allem ausgiebigem Publikumskontakt stattgefunden hat, bin ich zur folgenden Überzeugung gelangt:
Das Museum der (oder: in) Zukunft wird, im Sinne und aus der Sicht einer Auseinandersetzung des Publikums mit Kunst, zu 70% digital sein. Nur ein kleinerer Teil davon wird physisch, und somit in gewisser Ähnlichkeit zu dem was wir heute als Museum, Ausstellungshaus oder Galerie kennen, stattfinden. Dabei wird der Anteil, den sie sich an den 70 digitalen Prozenten sichern können, davon abhängen, wie gut und vorallem wie schnell, sich die Museen, Ausstellungshäusern und Galerien auf diesen Umbruch einstellen und darauf reagieren. Denn dieser digitale Anteil kann auch direkt von Künstlerinnen und Künstlern abgedeckt werden.
Künstler haben heute mehr denn je die Möglichkeit, direkt mit einem Publikum in Kontakt zu treten und die Anliegen ihrer Arbeit so viel besser zu vermitteln, als es Museen heutzutage machen und können. Dafür sprechen, neben den technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, auch erschreckende Zahlen darüber, wie lange Werke in einer Ausstellung überhaupt noch betrachtet werden. Es ist überhaupt nicht schwer mit einem online geposteten Video eine zeitlich gleichwertige Aufmerksamkeit eines Betrachters zu bekommen, wie dies im Durchschnitt eine hochkarätige, millionenteure Ausstellung in einem renommierten Ausstellungshaus bekommt (Vgl. Untersuchung des Monopol-Magazin zur Picasso-Ausstellung in der Fondation Beyeler 2019: Die durchschnittliche Verweildauer vor einem Werk betrug 4 Sekunden, das ergibt für alle 75 ausgestellten Werke eine Gesamtaufmerksamszeit von 5 Minuten. Dies ist eher die Regel als eine Ausnahme.). Gerne täuschen uns Besucherzahlen darüber hinweg, wie es um das Verhältnis von Kunst und Publikum eigentlich steht.
Auf meine künstlerische Arbeit haben diese Überlegungen einen grossen Einfluss. Ich werde einen grossen Teil meiner künstlerischen Anstrengungen im Hinblick auf eine Onlinezugänglichkeit für das Publikum ausrichten. Es geht dabei nicht darum, Kunstwerke einfach als Bilder oder Video auch online zu zeigen. Vielmehr wird es zu einem grossen Teil darum gehen, Kunstwerke explizit für online Plattformen zu schaffen. Ich werde also daran arbeiten, die Anliegen, welche meiner künstlerischen Arbeit zu Grunde liegen, so auszudrücken, dass die digitale Präsentation auf einem User-Endgerät und die On-Demand-Erfahrung essentiell und ausdrücklich so vorgesehen ist.
Ich verspreche mir davon folgende, positive Effekte:
- Meine künstlerische Arbeit profitiert davon im Sinne einer grösseren Aufmerksamkeit, aber vorallem auch einer qualitativ besseren inhaltlichen Auseinandersetzung eines Publikums.
- Meine Arbeit fördert allgemein das Verständnis für Kunst und die Zugänglichkeit zu ihr. Im Idealfall macht sie Lust auf Erlebnisse direkt vor und mit physischen Arbeiten in Ausstellungsräumen (die digitalen 70% führen zu den physischen 30%)
- Diese Forschungsarbeit führt zu Antworten dazu, wie eine Existenz als Künstler in Zukunft aussehen kann. Das ist eine grosse Frage, die viele beschäftigt. Es gibt aber kaum Antworten und meiner Meinung nach wird zu wenig und zu zaghaft ausoprobiert. Dies ist ein gefährliches Spiel auf Zeit.
- Ebenso führt sie zu Antworten, wie Museen, Ausstellungshäuser und Galereien in Zukunft existieren und eine sinnvoile Rolle übernehmen können. Dieser Punkt interessiert mich im Sinne eines Expertenwissens, als auch aus dem naheligenden Grund, dass Projekte wie das KKLB Beromünster, Kunst im Spital oder das KKLB Berlin, direkt davon betroffen sind. Ausserdem werden, wie weiter oben kurz beschrieben, Künstler durch die neuen Möglichkeiten viele Aspekte die heute noch von Museen, Ausstellungshäuser und Galerien abgedeckt werden, selber übernehmen. Also liefert auch dieser Punkt wichtige Informationen im Sinne einer zukunftstauglichen Existenz als Künstler.
- Interessanterweise wirft das Ganze auch einen neuen Blick auf das seit Duchamp immer wiederkehrende Thema rund um den Begriff des «Künstlermuseums» und eröffnet hier ganz neue Möglichkeiten. Ein Forschungsgebiet, welches mich sehr interessiert. Mit meinen Spaziergängen bewege ich mich natürlich in dieser Tradition und habe mich viel mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Gerade im Bereich der Konzeptkunst, in der ich meine künstlerische Arbeit klar ansiedle, bieten die neuen Aussichten im Onlinebereich grossartige Perspektiven.
Aufsatz als PDF: Silas Kreienbuehl 2019 Text Zukunft der Kunst digitalisierung